Gesamtzahl der Seitenaufrufe

Montag, 21. Dezember 2015

Leere Hülle...

Rückblick: 24. Juli 2015 - abends

Johanna, eine liebe Freundin, kommt am frühen Abend mit einer Nachricht vorbei. Wir können Vianne auf dem Hennener Friedhof beerdigen lassen, ganz in unserer Nähe, wenn wir es wünschen. Das hätte die Pastorin angeboten. Wir hatten uns bisher keine Gedanken darüber gemacht, dass Vianne eigentlich kein Anrecht hat, auf einem kirchlichen Friedhof begraben zu werden, weil unsere ganze Familie keiner Glaubensrichtung angehört. Jetzt war ich gerührt und dankbar, dass ihr Grab in unserer Nähe sein würde. Früher habe ich immer gedacht, es sei überhaupt nicht wichtig, eine Grabstätte zu haben - egal wo. Schließlich liegt da nur noch der Körper, eine Hülle, ohne Leben. Schließlich habe ich den Verstorbenen in meinem Herzen und kann an jedem Ort auf der Welt intensiv an ihn denken. Jetzt änderte sich meine Einstellung. Allein für unsere Kinder und alle, die Vianne lieb haben, brauchten wir einen zentralen Ort des Gedenkens, der am besten fußläufig zu erreichen ist. Und andererseits war der Gedanke so fremd, so verstörend... Für mich ging alles viel zu schnell: so viel Organisatorisches, so viel zu regeln, zu entscheiden, zu tun. Dabei war ich eigentlich nur voller Traurigkeit. Zum Glück hatte Bianca vom Kinderpflegeteam bereits am Morgen Kontakt zu einem Bestatter aufgenommen, mit dem sie gute Erfahrungen gemacht hatte. Sie war die traurige Expertin, nicht ich. Ich hingegen war nur erleichtert, dass sie die ersten Schritte wie die Kontaktaufnahme und die Abholung in die Wege geleitet hatte. Ich hätte es nicht gekonnt. 
Plötzlich nimmt Ada Johannas Hand und sagt in einem verschwörerischen Ton, der auch ein Stück Faszination nicht verhehlen kann: "Komm, ich zeige dir Vianne." Noch bevor ich reagieren kann, zieht sie Johanna hinter sich her in unser Schlafzimmer. Wie angewurzelt bleibt sie in der Tür stehen: "Mama, wo ist sie?", fragt sie irritiert und zugleich aufgewühlt. Schon wieder fühle ich mich komplett überfordert. Ich nehme sie in den Arm, behutsam, liebevoll und erkläre meiner kleinen Tochter, dass die Bestatter Viannes Körper mitgenommen hätten. Wir wollten ganz bewusst nicht, dass die Kinder diesen Moment mitbekommen. "Aber wo ist sie?", will Ada genau wissen. "In Dortmund, in einer Halle, in der es kühl ist", antworte ich. "Warum kann ihr Körper denn nicht hier bei uns bleiben?", fragt Ada mit leisem Stimmchen. Ich muss schlucken: "Weißt du, Viannes Körper verändert sich, jetzt, wo kein Leben mehr darin ist." Ich versuche ihr begreiflich zu machen, dass der Körper nur noch eine leere Hülle ist, dass Vianne nicht mehr in diesem Körper ist. In meiner Verzweiflung fällt mir nur der Vergleich mit einer Smarties-Rolle ein: "Wenn die leckeren, bunten Smarties einmal raus sind, bleibt nur noch eine leere, inhaltlose Papphülle." Behutsam schiebe ich Ada zurück in den Flur, nehme ihre kleine Hand in meine. Wir kehren dem Raum den Rücken... "Vianne fehlt mir...", sagt Ada leise.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen