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Montag, 24. Juni 2019

Ein Durcheinander der Gefühle

Echtzeit! 3. Juni 2019
Man nehme 500 g des Buches "Wunschgeschichten für beste Freunde", 2-3 Becher alte Videos und dazu eine Prise "Scheißtag". Dann verquirlt man alles kräftig und gibt die gesamte Masse in eine Backform. Anschließend stellt man den Ofen auf 180 Grad Vergangenheit und backt alles vier Jahre, bis man so was von gar ist.
Super Rezept! Viel mehr als diese paar "Zutaten" hat es nicht gebraucht, um mich heute in einen völlig desolaten Zustand zu bringen. Nicht, dass sich das Desaster nicht schleichend angekündigt hätte... Schon Tage zuvor brachen kleine Anzeichen des unendlichen Vermissens durch. Dünnhäutig, gereizt und antriebslos ging's durchs den Alltag, jede noch so kleine Aufgabe stellte ein Höchstmaß an Anstrengung dar. Irgendwann fand ich mich vor unserem Regal mit den zahlreichen Kinderbüchern. Direkt neben "Wir Kinder aus Bullerbü" stand eines von Viannes Lieblingsbüchern: "Wunschgeschichten für beste Freunde". Über verschiedenfarbige bewegliche Ringe stellt man Symbole ein: Apfel - Igel - Leiter - Schnuffeltuch. Jedem der zahlreichen und unterschiedlichen Symbole in diversen Kombinationen ist eine Geschichte zugeordnet, in dem ebendiese Elemente vorkommen. Ada und Vianne konnten gar nicht genug von diesem Buch bekommen. "Mama, lass uns nur noch einmal drehen... Biiiiittte!", flehten die beiden ein ums andere Mal, während wir drei uns abends gemütlich ins Bett gekuschelt hatten. Ada ist aus dem Buch herausgewachsen. Vianne durfte nicht wachsen...
Ich will Vianne!! Ich lausche ihren Worten in den zahlreichen Videos, die ich mir in Endlosschleife reinziehe, analysiere jedes noch so kleine Detail in der Hoffnung, etwas noch nie Gesehenes wahrzunehmen. Ich sauge ein Leben auf, das vorbei ist. Und zeige allen den prächtigen Mittelfinger, die mich davon abhalten wollen und mir mit Motivationssprüchen und Appellen an Vernunft und Verantwortung kommen wollen wie: "Du hast nur dieses eine Leben", "Leben geht nur vorwärts, nicht rückwärts". Zwar sagt das nie jemand zu mir (außer dass ich mich mit solchen Gedanken manchmal selbst pushen möchte), aber es sollte mal einer wagen. In meiner jetzigen Stimmung wünsche ich mir geradezu inbrünstig jemanden, der noch einen weiteren vor Zuversicht und Tiefgang triefenden Motivationsspruch hervorkramt. Was für eine Genugtuung es doch wäre, auszuflippen und (verbal) draufzuschlagen.

Echtzeit! 19. Juni 2019
Seit Tagen reift eine Idee heran... eine verrückte Idee, geboren aus dem Durcheinander der Gefühle, dem Schwanken zwischen Hoffnung und Verzweiflung - Energie und Antriebslosigkeit - Lebendigkeit und Starre - Mut und Verzagtheit - Abenteuerlust und Vernunft. Die Chancen auf Realisierung stehen nicht gut, also ehrlich gesagt sogar schlecht. Doch schrittweise arbeiten wir uns heran und machen aus der Idee einen Plan - und die Aussicht allein beflügelt und lässt aufleben...

Echtzeit! 24. Juni 2019
Heute will ich nicht nach vorne gucken - ich weigere mich. Ich weigere mich, positiv zu denken und freundlich-funktional zu sein. Heute will ich mich vergraben, begraben in der Vergangenheit, will mich in den süßlich-schmerzhaften Erinnerungsfetzen ertränken.. 
Heute bin ich Wut und Neid, Lethargie und Launenhaftigkeit in einem. Nein! Ich will nicht die Scheiß-Blumen auf ihrem Grab gießen. Es ist nur ein Grab und meinetwegen kann dort alles verdorren. Es ist nicht Vianne. Es ist nur ein Ort. Nur ein Ort, an dem sie nie gelebt hat. Ein Ort für die anderen, um ihre Verbundenheit auszudrücken. Und somit doch auch irgendwie ein Ort, der mich berührt. Trotzdem will ich heute keine Blumen gießen. 
Für mich ist Vianne eher in unserem Zuhause erlebbar: Wir hatten in der Küche einen kleinen Kindertisch stehen. Sie hat dort ihr "I feel good"-Schaf tanzen, singen und wackeln lassen, bis es auf den Boden geplumpst ist. Sie hat dazu getanzt und uns schließlich in einem lustigen Mix aus Kichern, Wut und Empörung kundgetan, dass sie dabei nicht gefilmt werden wolle. Hier zuhause ist sie lebendig. Hier hat sie gelebt. Hier lebt sie weiter, auch wenn mir das Leben mit ihr mittlerweile eher wie ein schöner Traum vorkommt und häufig nur noch surreale Dunstschleier durch die Räume wabbern. 
Ada hat sich heute wieder das kleine Kissen von mir stibitzt, das Vianne noch kurz vor ihrem Tod von Uli geschenkt bekommen hat. Die türkisfarbene Seite zeigt eine Sonne, die graue Seite Regentropfen. Ada hat sich das kleine Kissen in ihr Bett geholt und sich ganz eng zum Einschlafen daran geschmiegt. Ich hatte dabei meine Hand auf ihrem Herz und habe jeden einzelnen Herzschlag aufgesogen. Ich hatte meine Hand auf Viannes Herz, als es aufgehört hat zu schlagen...Ich weiß, wie es sich anfühlt...das Nichts, das Erstarrte, das Leblose...
Heute bin ich Wut und Neid, Lethargie und Launenhaftigkeit in einem. Heute bin ich Trauer. Und morgen geht es gestärkt weiter...