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Sonntag, 25. Februar 2018

Herzensangelegenheit

Echtzeit! 25. Februar 2018

Meine kleine großartige Tochter Ada schafft das, was ich bisher nicht so gut geschafft habe: Sie strahlt Freude und Zufriedenheit aus, nimmt jeden neuen Tag tapfer an und lebt im Hier und Jetzt - ohne Vianne (und Jesse) dabei zu vergessen. Erst heute Morgen hat sie für jeden von uns - sogar für Lukes Übernachtungsgast - einen kleinen beschrifteten Zettel in unserem Brotkorb versteckt. Jeder durfte einen dieser Zettel beim Frühstück ziehen, und jedem von uns hat die darauf stehende Botschaft ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. "Mut" - "Freude" - "Wärme" - "Liebe" - "Glück": das waren ihre Wünsche für uns und sich selbst. Wenige Tage zuvor hatte Ada die Mutter einer ihrer Freundinnen, die Vianne ebenfalls gut kannte, gebeten, von Vianne zu erzählen. Ada hatte Fragen. Und sie hat auch von ihren Gefühlen erzählt....  Ich bin froh, dass Ada Fragen stellt. Ich bin sehr erleichtert, dass sie sich auch anderen Menschen, außerhalb unserer Familie, anvertraut, Menschen, denen sie selbst vertraut, bei denen sie sich angenommen und gut aufgehoben fühlt. Danke Inga! Ada und ihre Freundin haben an diesem Tag noch Briefe an Vianne geschrieben, die sie später zu ihrem Grab gebracht haben. Es ist ein schöner, ehrlicher, gesunder Umgang mit dem Tod ihrer Zwillingsschwester.
Ich vermisse Vianne nach wie vor schrecklich. Ich vermisse UNS nach wie vor unsagbar: eine Freundin hat mir kürzlich ein Foto (entstanden Sommer 2013 nach der letzten Chemo) und ein Video von unserer Familie gezeigt, aufgenommen im Sommer 2012 bei ihr im Garten - unmittelbar vor Viannes Diagnose. 


Beide Aufnahmen kannte ich bis dato noch nicht. Ich war so ergriffen, so voller Schmerz und Glück in einem. Wie sehr ich in diese Familie, die es so nun nicht mehr gibt, verliebt bin, wie viel mir dieses turbulente Leben mit Micha an meiner Seite und vier phantastischen Kindern um uns herum bedeutet - so viel mehr als mein eigenes Leben. So viel Liebe hat uns sechs ausgemacht. Wie klein Vianne damals noch war, kurz bevor dieser schreckliche, apfelgroße Tumor in ihrem Köpfchen entdeckt wurde. Und auch in dieser schweren Zeit der Erkrankung gab es so viel Liebe in dieser Familie. Es fiel mir bis vor wenigen Tagen sehr schwer, mich in unsere neue Familienstruktur, eine Familie minus zwei, einzufinden. Es fiel mir so schwer, mit dieser Familie, die so kaputt und gesprengt und zerrissen ist, "einfach so" weiterzumachen. Minus zwei. Minus Vianne und Jesse. Kaum fähig zu kriechen, geschweige denn im Gleichschritt zu gehen. So viel Liebe wurde aus uns herausgerissen, so viel Platz für Schmerz und Verlust und nah an den Wahnsinn bringende Sehnsucht geschaffen. Mein bisherige Familienbild  innerhalb von sechs Wochen unwiderruflich zerstört. Einfach so. Als ob irgendein Fiesling einem schillernden Käfer 'mal eben zwei Beine ausreißt und voller abscheulicher Faszination und Neugier beobachtet, wie sich der Käfer versucht aufzurappeln und vorwärts zu kommen, in dem Bewusstsein, nie mehr vollständig zu sein.
Seit vorgestern ist etwas anders. Der Tag erschien insgesamt friedlicher, sonniger, beruhigend heller und lebendiger. Ada und ich setzten uns warm eingepackt auf unsere Terrasse in die Sonne und begannen zu zeichnen. Wir beide genossen diese Zweisamkeit, verloren uns in der konzentrierten und beruhigenden Linienführung, ließen unsere Bilder durch die Farbkraft der Buntstifte aufleuchten. Es begann mit einem gefrorenem Eisstück auf unserer Terrasse, mit einem Eisstück in Herzform, dass ich in Adas herzförmigen Spielzeugeimer entdeckte. 




Behutsam holte ich es hervor und legte es auf die Holzterrasse. Ein gefrorenes Herz. Aber definitiv ein Herz. Gebrochen, gefroren, aber nicht tot, wunderschön glitzernd in der Sonne, die es langsam zum Schmelzen brachte. Sofort machte ich ein Foto von diesem Herz, bis ich die nächste Herzform im Garten entdeckte... und noch eine... und noch eine... "Ich bin noch immer umgeben von so vielen Herzen, von so viel Liebe", fluteten die warmen Gedanken mein Hirn. Wie getrieben machte ich mich in unserem Zuhause auf die Suche nach weiteren Herzen und wurde schnell fündig. Ich fotografierte wie wild, um 'all diese Herzen festzuhalten: im Wohnzimmer, in der Küche, bei Ada und bei Luke, im Schlafzimmer... im gesamten Haus. 


























Überall Symbole der Liebe, der Wärme, des Zusammenhalts. Sogar jetzt noch. Die Liebe in mir für diesen zerrissenen, kleinen, schillernden Käfer ist nicht zerstört. Der Käfer ist nicht mehr perfekt, nicht mehr vollständig und wird nie wieder so leuchten wie zuvor. Aber ich glaube an diesen Käfer. Wir alle werden lernen müssen, auf vier Beinen wacker durchs Leben zu wackeln, immer in dem Bewusstsein, dass zwei wichtige Stützen fehlen. Und doch werden wir vorwärts kommen... Kleine Stöckchen auf dem Weg, die wir sonst immer mit Leichtigkeit genommen haben, werden uns nun eher zum Straucheln bringen, aber wir kommen hinüber, wenn auch langsamer, vielleicht beharrlicher - solange uns weiterhin so viele Herzen umgeben...