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Sonntag, 25. Dezember 2016

Augenblicke

Echtzeit! 25. Dezember 2016

Viel zu lange habe ich nicht geschrieben - war mal wieder zu sehr im Alltagstrubel, habe mir zu wenig Achtsamkeit gegönnt und habe die Hektik und den Stress als willkommene Ablenkung genutzt, um mich nicht dem Vermissen - insbesondere in der Vorweihnachtszeit - stellen zu müssen. Schweren Herzens habe ich mir in der Woche vor Weihnachten freigenommen, um meine unzähligen Überstunden abzubauen. Mein Verstand sagte mir, dass es vernünftig sei, eine Auszeit vor den Festtagen zu nehmen, um einerseits die letzten Geschenke zu besorgen und die letzten Festvorbereitungen anzugehen und um mir andererseits 'mal wieder Raum für Verarbeitung nach den Wochen des Verdrängens zu geben.. An meinem letzten Arbeitstag habe ich auf der Rückfahrt Rotz und Wasser geheult, voller Sorge vor der Zeit der Stille und des Nachdenkens, in vollem Bewusstsein, dass die Konfrontation wieder sehr schmerzhaft sein wird. Gerade in dieser dunklen Jahreszeit und in der Weihnachtszeit ist es so schwer, sich nicht von den mannigfaltigen, wechselnden und zum Teil kontroversen Gefühlen überrollen zu lassen. Ich schwanke so sehr zwischen Liebe und Verzweiflung, dass mir schwindlig wird. Liebe gegenüber dem  Leben, Liebe gegenüber meiner Familie und tiefste Verzweiflung darüber, dass ich Vianne und auch Jesse nie wieder in den Armen halten kann. Manchmal trotzen wir der Verwzeiflung und machen lustige, skurile, lebendige Sachen, wie diesen Weihnachtsfilm, den wir - aus einer Laune heraus, improvisiert, ohne Sinn und Verstand, aber mit ganz viel Herz - aufgenommen und an unsere engsten Freunde verschickt haben. 
Die Woche vor Weihnachten habe ich so viele Tränen vergossen, habe aber dennoch nicht zur Verarbeitung und inneren Ruhe finden können, weil noch so viel lebensnahe Verpflichtungen - von der Steuererklärung bis hin zu Restarbeiten meines Jobs und Vorbereitungen für die nächste PSAPOH-Tagung - anstanden... und weil ich anscheinend nicht soweit war. Kopflos bin ich durch die Woche gehetzt, immer im inneren Konflikt und mit dem Wissen, dass ich mich endlich auf mich konzentrieren muss, um voranzukommen. 
Am Donnerstagabend haben mir  meine "Liebesperlen" (Anm.: nicht nur Tanzgruppe, sondern viel mehr: Freunde und Vertraute) etwas Leichtigkeit und Entlastung geschenkt: wir haben erst getanzt, dann den Weihnachtsbaum einer Freundin gemeinsam geschmückt und mit ihm um die Wette geglitzert, gelacht gealbert, gelebt. Den Heiligabend haben wir tagsüber mit lieben Freunden verbracht, haben gemeinsam auf einer Treckerfahrt mit anschließender Wanderung die Natur genossen, sind in die Matsche gesprungen, haben Abhänge und Baumstämme erklommen, eine wilde Strohschlacht veranstaltet und anschließend köstlich. geschlemmt. Danke Schoofi und Volker! Traditionsgemäß haben Luke, Ada, Micha und ich anschließend den Heiligabend unter uns verbracht - es war sehr schön, wir haben nach der Bescherung "Montagsmaler" und "Pantomime" gespielt. Und dann kam die Sehnsucht. Ich merkte, wie ich im Laufe des Abends immer gereizter wurde, wie die Stimmung kippte, voll unerfülltem Verlangen nach glücklicheren Tagen und  Augenblicken, voller Verlangen nach der kompletten Familie. Welches Geschenk, egal wie liebevoll ausgesucht, kann die eigentliche Sehnsucht stillen? Auch wenn ich so dankbar bin, Ada, Luke und Micha um mich zu haben, so fiel es mir gestern Abend doch unglaublich schwer, tiefes Glück zu empfinden. Nie wieder werden wir an die glücklichen Tage mit unseren vier Kindern heranreichen. Alles kam mir so unausgefüllt und leer vor. Ich habe Micha die fehlenden Fotoleinwände von Ada und Vianne geschenkt. Darauf sind nur ihre Augen zu erkennen. Vor Jahren habe ich ihm Jesses und Lukes "Augenblicke" geschenkt. Ich habe intensiv überlegt, ob ich uns alle nicht mit diesem Geschenk überfordere - und doch bin ich froh, mich dazu entschieden zu haben. Denn egal, ob wir Viannes "Augenblicke" sehen und voller Wehmut sind: ich will sie in unserem Leben wissen, sogar wenn es schmerzt... Jedenfalls sind nun alle vier beisammen....
"Augenblicke"

An Weihnachten 2015 habe ich nur bruchstückhafte Erinnerungen: ich glaube, wir waren froh, dass wir diese Tage - das erste Weihnachtsfest ohne Vianne und Jesse - irgendwie überlebt haben, noch halb im Schockzustand. Weihnachten 2014 haben wir ALLE im Stubaital verbracht - trotz Tumorlast ist Vianne die Hänge unter den wachsamen und behütenden Augen von Jakob, ihrem Skileherer,  hinuntergerauscht. Niemand hat ihr ihre schwere Erkrankung angesehen. Trotz des Wissens, dass sie ein Rezidiv hat, trotz der Sorge um das Kommende, waren wir glücklich - weil sie unter uns war - lebendig - und weil es ihr trotz allem gut ging. Weihnachten 2013: welch ein Freudenfest im Skiurlaub im Zillertal. Vianne hatte die über einjährige Therapiephase gut hinter sich gebracht - sie war tumorfrei und wir alle guter Hoffnung, dass wir diese hinterhältige, heimtückische Scheiß-Krankheit besiegt hatten. Wir sind Heiligabend mit Andi und Ralf ausgelassen durch unsere Ferienwohnung getanzt. Ich sehe Vianne gerade in diesen Tagen überall: im Garten, wie sie Matschepampesuppe kocht, tanzend in der Küche, wie sie mit Ada heimlich Plätzchen stibizt oder "Pferdchen" spielt, draußen auf der Straße vor unserem Haus, singend im Wohnzimmer ... 
Ich hatte nur einen Weihnachtswunsch - so surreal, so unrealistisch, so träumerisch. Die Enttäuschung ist trotzdem so groß. Wie gerne würde ich an Weihnachtswunder glauben. Aber es gibt keine Wunder... Es gibt nur Sehnsucht... solange bis mein Trotz und mein Kampfgeist wieder durchbrechen und ich voller Energie und Wut und Vertrauen das Leben wieder anpacke...