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Freitag, 29. April 2016

Wie?????

Echtzeit! 25. April 2016

Es ist der 25. April 2016. Adas Geburtstag. Und Viannes Geburtstag. Wie - bitteschön wie - sollen wir einen unbeschwerten Tag mit unserem Geburtstagskind verbringen, während ihre Zwillingsschwester nicht mehr bei uns ist? Es ist pervers. Es ist zerstörend. Es ist verstörend. Wie sollen wir es schaffen, einerseits einen leichten, fröhlichen, ungezwungenen, lustigen Tag mit Ada zu verbringen und ihr gerecht zu werden, während Vianne ihren 7. Geburtstag nicht mehr feiern kann? Es zerreißt mich schier. Es gibt keine Lösung. Ich bin von der Unbeschwertheit so weit entfernt wie Feuer von Eis. Und doch wollen wir Ada irgendwie gerecht werden. Sie hat ein Anrecht auf diesen Tag. Sie selbst ist tapfer, voller kindlicher Unbekümmertheit. Sie fiebert ihren Geschenken entgegen, freut sich auf bunte Ballons, den heißgeliebten Schlangenkuchen, Kerzen, Gästen.... All das kriegt sie. Es ist ihr erster Geburtstag allein. Woher nimmt sie diese Kraft, die ich nicht verspüre? Bereits Lukes Geburtstag eine Woche zuvor war eine mentale Herausforderung... Zwei Gratulanten weniger. Nur eine kindliche Unterschrift auf der Geburtstagskarte... Aus Grau wird Schwarz - einfach so - festgemacht an einem einzigen Tag. Ich bekomme die Bilder nicht aus meinem Kopf. Ich weiß, dass es gefährlich ist, wenn die Vergangenheit mehr Macht über einen hat als die Gegenwart. Und doch kann ich mich diesen Bildern nicht entziehen. Vor einem Jahr waren wir bereits weit weg von normal - aber Vianne war unter uns - ließ sich den Kuchen schmecken, testete ihre neuen Inline-Skates, ritt auf Jesses Schultern, fuhr zweimal hintereinander die Wildwasserbahn im Legoland hinunter - trotz Tumorlast. Aber sie war da. Unter uns. Ich konnte sie riechen, spüren, ihr Kichern hören...Sie war da. Aus Grau wird Schwarz...Für mich versinkt der Tag im Regen...

Freitag, 22. April 2016

Einschulung...

Rückblick: Donnerstag, 13. August 2015 und folgende

Es ist unglaublich, wie nahe schöne Ereignisse und schlimme Geschehnisse beieinander liegen können, wie pervers das Leben sein kann, während die Sonne unschuldig vom strahlend-blauen Himmel lacht und die Vögel unbekümmert zwitschern. An Adas Einschulungstag vereinten sich Trauer, Stolz, Wut, Freude, Verzweiflung, Zuversicht - und alle stritten um die Vorherrschaft. 
Ada war so herrlich aufgeregt und etwas ängstlich: schließlich war es ihr großer und sehnlichst erwarteter Einschulungstag - ein großer Schritt in die Welt der Wortspiele und Buchstaben, der nüchtenen Zahlen und Gleichungen, auf den Spuren der Naturgesetze und den Wundern der Natur. 
Andi, Oma und Opa standen ihr und uns an diesem Tag zur Seite. Jesse wollte in die Schule, weil irgendetwas Wichtiges anstand. Luke verzichtete auf seinen Unterricht, um bei Ada zu sein. Für uns waren alle Entscheidungen in Ordnung. Zu Fuß gingen wir Richtung Grundschule. Ada trug stolz Tornister und Schultüte. Wir hatten noch eine weitere Schultüte dabei... Viannes Schultüte.... Schmerz! Sie sollte hier bei uns sein, sollte einträchtig neben Ada ihren ersten Weg als offizielles Schulkind antreten. Sollte den Wind in ihren Haaren spüren... Wut! Energisch schob ich die düsteren, verzehrenden Gedanken, die mich in Beschlag zu nehmen drohten, beiseite. Für Ada! Am Abend zuvor hatte sie mich gebeten: "Bitte morgen nicht weinen, Mama!" Ich versprach es ihr und hielt mich auch daran. Aber mir war etwas schwindlig von den Gefühlsstürmen, die in mir tobten. 
Die Eltern der Zweitklässler stellen am Einschulungstag traditionell Kaffee und Kuchen, Getränke, Süßes und Herzhaftes bereit, um die Klassenkasse aufzustocken. In diesem Jahr sollte in Erinnerung an Vianne ein Teil des Erlöses dem "Elterntreff  leukämie- und tumorerkrankter Kinder Dortmund e.V." gespendet werden. Im Vorfeld hatten mich einige Eltern, die den Verkauf organisiert hatten, angesprochen, ob das in unserem Sinne sei. Was für eine nette Geste! Ich überreichte ihnen Viannes Schultüte, die sie am Stand aufstellten. Ich atmete tief durch. So viele Menschen, so viele Kinder, so viele Eltern um uns... Gemeinsam ging es in die Turnhalle, wo die Erstklässler mit einem bunten Programm begrüßt wurden. Die Rektorin sprach ein paar Worte - auch über Vianne. Auch sie hatte im Vorfeld gefragt, ob das in unserem Sinne sei. "Ja, gerne!" Warum Vianne totschweigen. Ich weiß im Nachhinein nicht mehr, wie ich diesen Tag überhaupt überstanden habe. Ich glaube, das ging nur, weil Ada so glücklich, so lebendig aussah - zumindest für den Moment. Irgendwann wurden die neuen Schulkinder klassenweise aufgerufen und marschierten - einige selbstbewusst, andere zögerlich - hinter ihrer Klassenlehrerin her in ihr zukünftiges Klassenzimmer zur ersten Unterrichtsstunde. Der Schwindel nahm zu. Die Eltern überbrückten indessen die Wartezeit draußen auf dem Schulhof. Ich musste mich an Micha festhalten, lächelte tapfer weiter, sprach, aß, funktionierte. Alles drehte sich, schwankte... Die Sonne schien weiterhin kräfig vom Himmel.
Auf dem Rückweg gingen wir zu Viannes Grab und legten dort ihre Schultüte ab. Zu Hause angekommen hielt ich mich noch etwas auf den Beinen, aber ich konnte irgendwann kaum noch geradeaus sehen, so schwindlig war mir mittlerweile. Und auch die Übelkeit verstärkte sich mit zunehmenden Schwindel. Am frühen Abend schlingerte ich schließlich zum Arzt, der mir sofort eine Infusion verpasste. Der Schwindel sollte noch zwei Wochen anhalten. Aus irgendeinem Grund war der Gleichgewichtssein in meinem Innenohr gestört...Aber nicht nur ich war wacklig auf den Beinen... auch Ada hatte schwer zu kämpfen. 

Zitate Ada:
Samstag, 15. August 2015: "Mama, als Vianne tot war und ich bei ihr war, hatte ich das Gefühl, dass ich nie wieder lachen könnte."
Donnerstag, 20. August 2015: "Mich nervt das, wenn meine Augen so flüssig sind!"
Dienstag, 25. August 2015 (bei der Kunsttherapie): "Ich bin nicht so uriniert (gemeint war routiniert) beim Bauen (eines Zwergenhäuschens aus Ton) wie Vianne."

Mittwoch, 6. April 2016

Blüten, Tanz und Trauer...

Rückblick: 06. bis 12. August 2015

Manchmal scheint es so, als ob Vianne uns kleine Zeichen schicken würde: das Blumenherz auf der Küchenfensterbank, dass sich seit Jahren irgendwie über Wasser hält (trotz mangelnder Wasserversorgung) hat zum ersten Mal einen Herzblatt-Ableger bekommen. Und Viannes Blume im Vorgarten, die wir noch gemeinsam gepflanzt haben, hat während unserer kurzen Abwesenheit knallrosa leuchtende Blüten hervorgebracht. Dabei sah sie wochenlang absolut vertrocknet aus. Adas und meine Blume wirken nach wie vor verdorrt...
Eine neue Schmerzwelle kam am Freitagabend, 7. August 2015 angerollt. Hoch, überwältigend, so hilflos ausgeliefert...Den ganzen Tag über fühlte ich mich schon so leer. Micha und ich waren das erste Mal wieder an Viannes Grab gewesen. Meine Tränen flossen und wir gossen die Kränze und Blumen - alles schon sehr vertrocknet. In der Nacht kam dann der Weinkrampf. Da Luke auch nicht schlafen konnte bekam er meine Verzweiflung hautnah mit. Erst um drei Uhr morgens fand ich ins Bett und in einen unruhigen Schlaf. Aber auch der sollte keine wirkliche Erleichterung bringen. Auch am Samstagmorgen war die Welle noch nicht abgeebbt. Ada hatte unser Schlafzimmer für eine Party ("Welche?", fragte ich sie - "Irgendeine", antwortete sie) dekoriert: mit Luftballons, Pferde-Plastiktellern und -Bechern, Pferdeservietten, einer Pferdegirlande und kleinen Deko-Holzmäusen, die sie liebevoll rund um die Teller arrangiert hatte. Wasser und Apfelsaft standen parat, ebenso Weintrauben und Schokoriegel. Musik tönte durch den Raum. Gemeinsam tanzten wir zwei durchs Schlafzimmer, futterten die Trauben, tranken Apfelschorle, spielten eines von Viannes Lieblingsspielen - das mit dem Eisbecher, welches sie zu ihrem Geburtstag von der K41 (Kinderklinik - Onkologie) geschenkt bekommen hatte. Später kam noch Luke dazu, der unser wildes Getanze aber ziemlich peinlich fand. "Ich tanze besser als du, Mama!", meinte Ada später selbstbewusst. Es tat so gut! Später am Tag fuhren Ada und ich Inliner. Ich schlug vor, zu Viannes Grab zu fahren. Zusammen stellten wir zwei Kerzen ab - Partylichter.
Es ist Sonntagmittag. Ada holt sich Michas Gitarre, zupft andächtig an den Seiten und singt leise dazu: "Ich vermisse dich, wo bist du denn nur...? Ich bin ganz allein, das merke ich erst jetzt. Du fehlst mir so sehr, wenn ich daran denke. Was ich wirklich sagen muss: das Vianne so mutig war...sie ist die Mutigste"
Ich drehe mich um, um meine Tränen zu verstecken...
Es ist Dienstag, 11. August 2015. Heute habe ich Adas Schultüte fertig gebastelt bekommen. Nun steht sie neben Viannes, ihr Tornister neben Viannes Tornister. Ich musste Fotos machen, während unaufhaltsam Tränen flossen. Wie gerne hätte ich meine beiden Mädels übermorgen Hand in Hand zur Einschulung gehen sehen....wie gern...
Mittwoch, 12. August 2015 - Ada erzählt mir, dass Vianne und sie ein Geheimversteck hatten - bei unseren Nachbarn ganz hinten im Garten: "Dort haben wir immer Pferdchen gespielt! Ich war 'Sterni'". Am Nachmittag haben wir den ersten Kuchen ohne Vianne gebacken. Ada war ganz zufrieden, dass sie alle Eier alleine aufschlagen durfte - ohne zu teilen. Am nächsten Tag kam die Einschulung...