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Mittwoch, 20. Dezember 2017

Zeit der Stille

Echtzeit! 20.12.2017 
Zitat Ada: "Vianne hat mir auch das Pfeifen beigebracht - wir waren ein klasse Team." 12.08.2015
Zweieinhalb Jahre ohne sie, ohne dieses kleine, kritische, kichernde blondgelockte und zeitweilig kahle Mädchen an meiner Seite, das die Regenwürmer aus jeder Pfütze gerettet und sich selbst kunterbunt angemalt und dabei mit der Sonne um die Wette gestrahlt hat. 

Dieses Mädchen, das sich - behängt mit unendlich vielen Ketten, Taschen, Glitzerdingen - auf die Reise gemacht hat, die Welt zu erkunden. Eine kleine Persönlichkeit schon in so jungen Jahren, die mit einer Mischung aus Charme und Schüchternheit, Trotz und Beharrlichkeit die Menschen für sich eingenommen hat.

 Mit der Salatschüssel auf dem Kopf hat sie sich in Lukes Zimmer geschlichen und seine Lego-Bauten auseinandergenommen, was auf der einen Seite zu lautem Gelächter, auf der anderen Seite zu lautstarker Empörung geführt hat. Kein Kletterturm war ihr zu hoch (und wenn anfangs doch, dann hat sie einfach Ada vorgeschickt), kein Gewässer zu tief. Die Herausforderung ihres ersten Frisörbesuchs hat sie tapfer angenommen (unsere Jungs sind vor der Schere in jungen Jahren schreiend davongelaufen), kein Nikolaus konnte sie zurückweichen lassen. Sie hat sogar noch ihre Schwester angeschwärzt, die kleine Ziege. Sie hat die Wunder in der Natur gesehen ("Die Welt ist voll von Sachen, und es ist wirklich wichtig, dass sie jemand findet." Astrid Lindgren) und hat den Duft und die Schönheit von Ingas Blumen im Garten eingesogen.



War dieses Leben mit Vianne nur eine Illusion? Hat jemand anderes dieses Leben mit meiner wunderbaren Tochter gelebt? 
Ich kann nicht glauben, dass ich dieses helle, wertvolle Leben voller Freude und Phantasie, Einhörner, chaotischen Haushaltszuständen, ausufernden (und erschöpfenden) Ins-Bett-geh-Ritualen, wackelnden Popo-Tänzen, Kartoffel-Ernte-Erkundungstouren und Pfützenhüpfen gelebt habe... ohne diese innere Kälte in mir... ohne diesen grauen Schleier, der sich zwar behutsam, aber unaufhaltsam auf jeden noch so schönen, leuchtenden, kuglig-lachenden, herzerwärmenden Moment, den es auch heute noch gibt, herabsenkt. Ich habe gekämpft, gegen das Grau angekämpft, habe mir jede Taschenlampe und jeden schimmernden Stern zuhilfe genommen, um durch diesen zähen Mantel der Trauer hindurchzustrahlen. Ich habe mich in meinen Beruf hineingelebt, habe mir den Schmerz aus Kopf und Körper gerannt und gerammt, habe Vianne in der Natur gefunden und probiert, diese Momente der Herzenswärme in meinen Akku einzuspeisen, habe meine Gefühle in Worte fließen lassen, mir professionelle Hilfe geholt, mich in Extremsituationen begeben, wenn ich mich nicht mehr fühlen, mich nicht mehr wahrnehmen konnte, habe reinigende Tränen allein und im Beisein vertrauter Menschen vergossen, habe den Alltag angenommen und sogar daran teilgenommen, habe versucht, den Blickwinkel zu wandeln und die Welt aus einem Kopfstand heraus zu betrachten...habe mich beim Yoga und in der Meditation in Gelassenheit geübt und habe mich verbeugt vor allem, was lebt und liebt... mit dem einen Ziel: zu leben. Richtig zu leben. Nicht nur zu funktionieren... Vergebens! Warum nur dieser Rückschritt - jetzt, nach zweieinhalb Jahren -  wo ich doch schon so weit gekommen war???
Jetzt drohen mich Wut und Hoffnungslosigkeit und Dunkelheit zu verschlingen. Ich bin so müde...müde...müde. Mein Gegner, meine Trauer, letztendlich doch zu stark? Sie droht mich aufzufressen. Mein Körper zeigt erste Reaktionen. Kann man an gebrochenem Herzen sterben? Ich glaube schon... Ich werde mein Leben zu Ende leben, das ist ganz klar, aber ich befürchte, ich werde mein Ziel nicht erreichen, ein Leben voller purer, praller Lebendigkeit zu leben. 

Verpufft ist diese Lebendigkeit, die solch einen großen Teil meiner Persönlichkeit ausgemacht hat. Ich merke, wie sich Bitterkeit und Resignation um mein angeschlagenes Herz schlingen. "Du hast verloren verloren verloren", tönt es höhnisch. "Du hast auf ganzer Strecke verloren, hähä: Vianne, Jesse, Hoffnung, Mut, Liebe, Vertrauen, Energie, Führerschein (har har), Demut, Achtsamkeit, Herzenswärme." Zu viele Dinge überfordern mich aktuell. Bald ist Weihnachten... Die Zeit der Stille... Vielleicht brauche ich diese Stille, um mich neu zu finden, neu zu ergründen. Vielleicht sollte ich nicht mehr gegen die Trauer ankämpfen, sondern sie annehmen. Es fällt mir nur so bleischwer, mein jetziges Leben anzunehmen... Was ich brauche ist ein Wunder, denn ich bin nicht so stark wie meine kleine wunderbare Tochter Vianne, auch wenn ich auf eine Art und Weise mutig bin - in WehMUT steckt schließlich Mut.

 "Ich möchte sie doch nur noch einmal sie sehen, nur noch einmal mit ihr sprechen, Mama, mehr will ich doch gar nicht...", hat Ada erst letztens wieder mit tränenschimmernden Augen zu mir gesagt. Sie verlangt noch nicht einmal, dass du ständig wieder an ihrer Seite ruhst. Nur noch einmal sehen, umarmen, berühren, einatmen, genießen und deine Wärme spüren.

Was wir brauchen ist ein Wunder...
Wir haben seit kurzem ein wirklich wunderschönes, geschichtsträchtiges Klavier (Danke Jan und Kathrin!). Jedes Familienmitglied hat es für sich entdeckt - sogar Vita (unsere Katze) habe ich schon einmal klammheimlich über die Tasten huschen hören, und jedem bringt es Entlastung. Luke spielt schon so toll und ich merke, wie er sich beim Klavierspiel innerlich entspannt. Eine Zeit der (inneren) Stille ist vonnöten...

PS: Lesung in Magdeburg - mit dir, meine kleine Kämpferin. Du warst dabei und wir haben ihnen deine/unsere Geschichte erzählt... Es ist schön, dass die Menschen von dir hören möchten. Danke Magdeburg!