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Samstag, 24. September 2016

So tapfer

Echtzeit! 24.09.2016

Meine liebe kleine Vianne! Wie tapfer du gewesen bist... Es wird mir immer bewusster. Die vielen MRT-Termine, die du so mutig wach gemeistert hast - ohne Kinder-MRT - sondern in der "Röhre" für Große. Die  Bestrahlung, die du eingespannt in der engen Maske mit gerade einmal fünf Jahren ohne große Angst ertragen hast, oftmals mit einem Lächeln auf den Lippen und einer gehörigen Portion Charme und Humor, die das gesamte strahlentherapeutische Team begeistert hast. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich arbeite ja derzeit mit diesen kleinen Patienten... Ich glaube oftmals, du warst einfach schon zu weit für diese Welt... Ein Blick in deine Augen hat einem das Universum etwas näher gebracht... 
Du fehlst - jeden Tag. Es tut mir leid, dass ich die letzten Wochen nicht in der Lage war, über dich, an dich zu schreiben, aber der Schmerz um Jesse hat mir sämtliche Kraft geraubt. Es kommt zu schnell hintereinander... Vianne - Jesse - Jesse - Vianne... Ich komme emotional kaum noch hinterher. Für mich bist du schon so lange fort. Es ist schrecklich. Unser Leben - ein Leben ohne dich - geht einfach weiter. Unvorstellbar, aber wahr. Manchmal habe ich das Gefühl, das Leben mit dir hat in einem Paralleluniversum stattgefunden - und alles fühlt sich so unecht an. Vor anderthalb Jahren bist du noch durch eben dieses Wohnzimmer gehüpft, hast mit Ada in einem Zimmer geschlafen, hast mit mir geredet, dich an mich gekuschelt... und doch erscheint es mir Jahrzehnte weit entfernt - so sehr vermisse ich dich. Ich lebe weiter. Wir alle leben weiter. Aber wir alle sind transformiert. Auf eine für Außenstehende unvorstellbare Art und Weise. Die Welt fühlt sich für mich surreal an. Ein billiger Abklatsch dessen, was einmal war... Und doch lebe ich dieses Leben weiter. Aus Hochachtung vor dem Leben. Aus Hochachtung vor Luke und Ada. Aus Hochachtung vor unserer Familie und unseren Freunden... 
 

Samstag, 10. September 2016

Lebendigkeit!

Echtzeit! Samstag, 10. September 2016

Zitat Ada: "Vianne wollte einen eigenen Bauernhof haben, wenn sie groß ist."

Es ist abstrus. Manchmal fühle ich mich so lebendig, dass ich jeden Grashalm umarmen könnte. Letztens bin ich mit Tränen in den Augen in Richtung der Ruhrwiesen gegangen - zu viele traurige Gedanken, zu viel Schmerz, zu viel Sehnen, zu viel Verwirrung. Und dann kam Wind auf, böig und frisch fuhr er über mein Gesicht, durch meine Haare, so als ob mich Vianne kräftig schütteln wollte, wachrütteln wollte. Leb! Jetzt! Ganz intensiv! Die Traurigkeit verflog und machte einem anderen Gefühl Platz: Lebendigkeit. Ich stand mitten auf dem Weg, breitete meine Arme aus, hob mein Gesicht in den Wind. Der Wind wurde stärker. Ich schloss die Augen, drehte mich im Kreis und musste lauthals lachen, während mein Herz sich freistrampelte. Heute ist Vianne-Wetter....nur ohne Sonne. Ein wunderbarer Satz hallte durch meine Gedanken: "Ich liebe es, Mama, wenn der Wind durch meine Haare weht." Ich auch, Vianne, ich auch...
Auch heute morgen spürten wir Leichtigkeit. Ich habe meine Lieblingsmusik angeworfen, auf volle Lautstärke gedreht und habe im Takt mitwippend und lauthals trällernd den Frühstückstisch gedeckt. Bei "Je veux" konnte ich schließlich nicht mehr an mich halten und tanzte auf dem Wohnzimmerteppich ab. Irgendwann kam Micha dazu, dann Ada, und wir drei ließen es richtig krachen auf der "Tanzfläche". Luke lag peinlich berührt auf dem Sofa, was uns zu nur noch wilderen Verrenkungen anstachelte. Lebendigkeit....
Anschließend sind Ada und ich auf Lilli's Kindergeburtstag gefahren (Anm.: Viannes Freundin, die sie aus der Kinderklinik kennt und mit der Ada sich im Laufe der Zeit ebenfalls angefreundet hat).Die letzten zwei Jahre konnten wir nie zu Lillis Geburtstagsparty kommen, weil immer irgendwelche schlimmen Dinge passiert sind. Dementsprechend angespannt habe ich dem heutigen Tag entgegengefiebert. "Bitte bitte, lass nicht wieder etwas Schreckliches passieren", hämmerte es die letzten Tage ständig durch meinen Kopf. 2014 war Vianne  am Rückenmark operiert worden, 2015 war Jesses Unfall....2016 waren wir da. Erleichterung!
Am Freitag hatten Luke und Ada ihre letzte Yogastunde bei uns zuhause. Wie immer tat ihnen diese Auszeit gut. Es war eine ergreifende Erfahrung, sie gemeinsam  das Eingangsmantra sprechen zu hören. Was für eine schöne Atmosphäre. Sie sind nach der Stunde meistens ruhiger, geerdeter, näher bei sich. Danke Dirk! Sie hatten kleine Abschiedsgeschenke für ihren Yogalehrer vorbereitet. Ada und Vianne kannten ihn bereits aus ihrem letzten Kindergartenjahr. Er hatte dort für die Vorschulkinder einen Kinderyogakurs angeboten. Vianne - wenn sie denn teilnehmen konnte, was manchmal nicht möglich war, weil es ihr nicht gut ging - hat mir immer voller Begeisterung davon erzählt. Einmal wollte sie sogar unbedingt wegen der Yogastunde in den Kindergarten, obwohl sie sich früh morgens bereits wegen des Hirndrucks zuhause übergeben musste. Später hat sie mir dann auf unserem Küchenboden gezeigt, was sie gelernt hat. 
Ich brauche in den nächsten Tagen ganz viel Vianne-Wind... Morgen ist der 11. September... ich bin bei Jesse noch lange nicht soweit...noch lange nicht




Sonntag, 4. September 2016

Rar

Echtzeit! 4. September 2016

Ja! Ich mache mich rar derzeit. Ich möchte so viel und schaffe so wenig. Dabei ist der Wille da, auch wenn oftmals die Orientierung fehlt. Aber der Juli war schwer - und der September ist schwer. Ich muss mich erst ordnen. Zwischen meiner Arbeit, meinen Blogs, meinem Holländisch-lernen, meiner Familie bleibt manchmal nicht die Zeit für mich, die ich mir wünsche. Ich bin müder als vor einem Jahr... ich bin hoffnungsloser... Aber ich bin nach wie vor nicht bereit, diese Art der Müdigkeit, der Lähmung zu akzeptieren. Weder für mich  - weder für meine Familie - weder für euch. All ihr treuen Leser, ihr treuen Freunde, Nachbarn, Familie helft letztendlich,  nach vorne zu blicken. Ich bin immer wieder so sehr ergriffen, euer Mitgefühl zu spüren. Danke! Jeder Elternabend in der Schule, jede Erinnerung an das, was ich hatte, verlangt mir so viel ab - auch wenn ich es nicht immer zeige. Und gleichzeitig bin ich so stolz auf Luke und Ada, die aufrecht durchs Leben wandeln und noch immer Freude empfinden können. Dafür bin ich dankbar. Aber auch sie kämpfen. Luke hat Jesse so schmerzlich vermisst auf Korfu. Er hat es in diesen unspektakulären Satz verpackt: "Mir ist langweilig." Dahinter steckte: "Jesse fehlt mir so sehr! Ich habe niemanden, der mit mir von den Felsen ins Wasser springt!" Ich habe innerlich laut geschrien. Ada hat das erste Schuljahr hinter sich gebracht - ohne Vianne an ihrer Seite. Sie waren sonst nie getrennt. Ich ziehe meinen Hut vor meiner tapferen kleinen Tochter. Vor wenigen Tagen sagte sie auf einmal: "Es war schwer ohne Vianne!" Ganz nüchtern, ganz reflektierend. Aber sie hat es geschafft. Ich wünschte, ich wäre so stark. Ich spüre wie Neo in Matrix den Fehler im System - ohne ihn fassen zu können. Welche Pille würde ich wählen?? Wenn ich nur wüsste, dass es Vianne und Jesse gut geht... Ich hoffe es so sehr und ein Teil meines Herzens ist davon überzeugt, dass Liebe Raum und Zeit und Dimensionen überwindet - aber mein Kopf spielt den Miesepeter. Wie Luke trefflich sagte: "ich möchte Jesse nur noch ein einziges Mal sehen...!" Und Ada möchte so gern ihr Geheimversteck in Nachbars Garten mit Vianne aufsuchen..... Sehnen, Vermissen, Schmerz - all das ist so noch so oft übermächtig. Aber ich kämpfe: einen Tag mehr, einen Tag weniger. Das Schlimme ist, dass ich noch immer nicht wirklich realisiert habe, was geschehen ist... In manchen Situationen wird mir die Frage gestellt, wieviel Kinder wir haben. Bitte? Wie lautet die Antwort darauf, ohne den Fragenden komplett zu paralysieren. "Ja, wir hatten vier, aber zwei sind mittlerweile tot.." oder "wir haben zwei" - was weitere Fragen erspart, mich aber innerlich zerreißt. Im Anschluss an den Korfu-Trail habe ich mich fünf Tage mit den Kindern auf den Weilandthof von Uli zurückgezogen - und bin prompt krank geworden. Auch mein Körper spürt die letzten Jahre und nimmt sich zum Glück die Auszeit, die er braucht. Ich bin nach wie vor nicht bereit, nur noch düster in die Zukunft zu schauen und hoffe so sehr, dass in der Zukunft wieder ganz viel Freude und Leichtigkeit, Ausgelassenheit und Unbekümmertheit vorherrschen werden. Für Jesse! Für Vianne! Für mich! Für die Familie! Für das Leben