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Dienstag, 15. Dezember 2015

Drei zarte Flügelschläge

"Dieser Blog beginnt mit dem Tod und endet mit dem Leben."
 
Rückblick: Freitag, 24. Juli 2015 - 0.45 Uhr

Ihre Atemzüge sind leiser geworden. Das schreckliche, kaum zu ertragende Brodeln der letzten Stunden hat aufgehört. Für Außenstehende sei es schwer auszuhalten, Vianne selbst habe keine Atemnot und somit keine Angst, weil ihr Hirn die Sauerstoffunterversorgung nicht rückmeldet. Das hatten uns die Ärzte im Vorfeld versichert. Ein Tumor sitzt im Hirnstamm, wo die Steuerung des Atemzentrums liegt. Die Tumorlast ist insgesamt zu groß. Ich hoffe so sehr, dass sie keine Angst verspürt. Und doch sind da leise Zweifel. Aber sie wirkt ganz ruhig, eigentlich gar nicht ängstlich. Sie atmet schwächer, sie atmet langsamer. Die Atempausen werden größer. Sie liegt zwischen uns, klein und zerbrechlich und friedlich, fast durchscheinend. Ihre Augen sind geschlossen. Ich spüre es. Es wird Zeit für sie zu gehen. Sie darf sich ins Feenreich aufmachen. Ich sage es ihr noch einmal - zum letzten Mal. Meine Hand liegt auf ihrem Herzchen. Es schlägt noch dreimal - so zart wie der Flügelschlag eines Schmetterlings. Dann hört es für immer auf zu schlagen. Mit jeder Faser meines Körpers nehme ich diesen winzigen, magischen Moment wahr, in dem Vianne fortgeht, in dem plötzlich kein Leben mehr in ihrem kleinen Körper ist. Ihr Gesichtsausdruck: so stark, so überlegen, fast ein wenig schelmisch. Der Tod macht mir keine Angst mehr. Er ist so intim, so leise, so sanft und respektvoll zu meiner kleinen Tochter gekommen, dass ich einen Moment nur demütig und ergriffen bin und mir bewusst wird, wie viel wir eigentlich nicht wissen, wie wenig Zusammenhänge wir verstehen, wie klein wir im Universum sind. Dann fange ich an zu schreien. Ihr Herz schlägt nicht mehr und ich spüre mein Herz nicht mehr...
Später in der Nacht halte ich sie in meinen Armen, ganz fest. Ich kann ihren Körper nicht loslassen - nicht, solange noch Wärme in ihm ist. Ich kann nicht... Dieser kleine Rest Wärme hält die eisige Kälte in Schach, die sich langsam aber unaufhaltsam in mir ausbreitet...
 

2 Kommentare:

  1. Liebe Nicole, danke, dass wir so nah dabei sein dürfen....wir sind ständig in Gedanken bei euch, Deine Anna&Phine

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  2. Liebe Nicole,
    ich lese deine Worte und bin sofort ergriffen. Du besitzt diese Gabe Emotionen so in Worte zu fassen, dass diese sofort den Weg ins Herz finden.
    Danke, dass wir miterleben und mitempfinden dürfen.
    In Gedanken bin ich oft bei euch.
    Liebe Grüße, Anja I

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