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Dienstag, 24. Mai 2016

Entzwei...

Echtzeit! und Rückblick: 17. September 2015

Ich fröstele, während ich mich erinnere. Erinnere an das Geschehene, das nicht hätte sein dürfen. Das nicht hätte passieren dürfen. Ein Fehler in der Matrix? Ein Versehen des Schicksals? Ein unbedachter Ausrutscher, der so nicht geplant war? Oder gar ein widerlicher Betrug? Ein Betrug um das Leben... Ein Ereignis so unvorstellbar, so abstrus und surreal, dass ich es bis heute nicht (be-)greifen kann. Wäre es die Handlung eines Films gewesen, hätte ich mich auf's Übelste über die abgrundtiefe-Kellergeschoss-Drittklassigkeit des Drehbuch-Autors lustig gemacht, hätte meinen bittersüßen, voll tiefer Häme triefenden Sarkasmus lächelnd darüber ausgeschüttet - hätte den Film in die Kategorie "Unterste Schublade" - zu schmalzig, zu dramatisch, zu unwirklich, zu konstruiert gesteckt... Aber es handelt sich hierbei nicht um einen miesen Film. Es ist real. Es ist zu meiner Realität geworden. Und es ist passiert, als gerade neuer Mut aufkeimte, als es schien, dass wir nicht an Viannes Verlust zerbrechen werden, sondern uns wohlgemut, störrisch, frech, wortgewandt und trotzig dem Leben entgegenstrecken, wenn auch mit einer immerwährenden Wehmut im Herzen. Der Zeitpunkt an sich war so pervers gewählt. Es hat mein Herz, das schon vorher angeschlagen und weit entfernt von heil war, ganz einfach entzwei geschlagen. Einfach so. In einer Sekunde. Gerade einmal wenige Worte waren dafür nötig. Ich kann mich noch nicht einmal mehr an den Wortlaut erinnern... nur an diesen Moment. War es: "es tut uns leid" oder "wir haben alles versucht" oder "er ist tot"? Oder war es nur ein Blick? Die Körperhaltung der Ärzte, wie sie aus der Tür der Intensivstation traten? Es hat mich - einfach so - aus meinem, mir erneut liebgewonnenen Leben katapultiert. Ohne Vorwarnung, bitterböse, brachial. Ein Anschlag auf meine Sichtweise... ein Anschlag auf meinen Blick, einen Unschuldigen, den ich nicht imstande war zu beschützen... Welch Verschwendung von Leben!
So viele Fragen geistern durch meinen Kopf. Gibt es ein Schicksal? Wenn ja, kann ich es beeinflussen? Kann es irgendwer beeinflussen? Wenn ja, inwieweit und mit welcher neuen Konsequenz? Oder ist alles Willkür - ohne Sinn und Zweck - lediglich eine Laune, ein Spielball, ein Zeitvertreib? Gibt es einen Plan, den ich nicht imstande bin zu durchblicken? Was bedeutet Leben? Lebe ich, auch wenn ich (nur) existiere? Lebe ich, auch wenn ein großer Teil abgestorben ist? Wo fängt wahrhaftes Leben an? Wo hört es auf? Bringt das Schicksal mich nach vorne - oder bringt es mich kurz vom bisherigen Kurs ab, um mir einen neuen, besseren oder einfach nur einen anderen Weg aufzuzeigen? Oder lässt es mich nur noch blind herumirren, gefangen in der eigenen Verzweiflung? Gefangen in der Sehnsucht nach dem, was ich leben durfte. Oder weckt es in mir eine tiefe Dankbarkeit, dass ich etwas jahrelang erleben durfte, das so wertvoll ist, dass durch diesen Verlust sogar mein Herz daran zerbricht? 
Der 17. September hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Meine liebe Vianne: Ich weiß zum ersten Mal nicht, ob ich mein Versprechen dir (und den Übriggebliebenen) gegenüber halten kann. Ich weiß es nicht. Ich kämpfe. Jeden Tag. Ich tappe blind im Nebel umher: suchend, zweifelnd, torkelnd, oftmals hilflos und zunehmend kraftlos, in einer mir fremden, unwirklichen Welt, einem dichten Kokon aus Verzweiflung und Zwielicht. Ich achte das Leben nach wie vor - das ist nicht das Thema - aber ich kämpfe gerade hart um "meinen Blick"...  denn eines der ersten Zitate dieses Blogs lautet schließlich: "Dieser Blog beginnt mit dem Tod und endet mit dem Leben..."

5 Kommentare:

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  2. Liebe Nicole, schon in deinem vorherigen Blog habe ich von diesem schrecklichen Tag gelesen und saß erschüttert vor deinen Zeilen. Habe mich gefragt, was nun eigentlich geschehen ist, zumindest etwas Unvorhersehbares muss es gewesen sein und fühlte mich genau so, wie du es beschreibst. So viel kann das Schicksal oder welche Macht auch immer doch einfach nicht abverlangen. Es ist zu viel, unerträglich viel. Und ich kann nicht mehr tun, als euch Kraft und irgendwie einen kleinen Pfad zu eurem Blick zurück wünschen. In Gedanken bei euch und völlig fassungslos vom Lauf des Lebens.

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  3. Liebe Nicole
    Ich fühle so sehr mit! Ich schicke Kraft, Mut und Zuversicht mit jedem Sonnenstrahl, jedem Luftzug aber auch mit jedem Regentropfen und jedem Blütenstäubchen, das sich auf Eurer Terrasse niederlässt.
    Du weisst sie beide in deinem Herzen, Du weisst sie auch in Luke und in Ada und in deinem Mann und Deinen Eltern und Deiner Schwester. Sie sind in der Musik, sie sind in der Stille, sie sind im Donner und im Rauschen des Windes, sie sind in den Geschichten - sie sind in deinem Leben. IMMER!!!

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  4. ...ich habe einer Freundin von deiner Geschichte erzählt und ohne das sie deine Text kennt meine sie "Was für ein schlechter Film". Deine Worte haben den Punkt getroffen. Ich hoffe für dich/euch das ihr euer Versprechen gegen Vianne halten könnt. Das auch nach alldem neuer Mut wieder bei euch zu keimen anfängt,...
    Liebe Grüße

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  5. Liebe Nicole,
    deine Worte treffen ins Schwarze... Es kann nicht wahr sein, so was gibt es noch nicht mal in einem drittklassigen Film. In diesen scheiß Filmen gibt es immer Happy Ends. Und nicht solchen unvorstellbaren, irren Schmerz.... Es kann nicht wahr sein, es DARF nicht wahr sein. Unfassbar. Unglaublich. Fies. Gemein. Das Schicksal ist ein mieser Verräter. So ist das.

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