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Dienstag, 2. Februar 2016

Flieg!


Rückblick: 30/31. Juli 2015

Ohne unsere Familie und Freunde, besonders ohne meine "Perlen" hätten Micha und ich die Organisation nicht gestemmt. Aber wieder sind sie da, kümmern sich um Tische und Bänke, Tassen und Gläser. Gemeinsam dekorieren wir einen Tag vor Viannes buntem Erinnerungsfest die Scheune, die Tische und das Außengelände. Die Sonne scheint. Es ist warm. Das goldene Kornfeld ist ein einzig bewegtes Wellenmeer, wenn der Wind darüber streicht. Ada und Luke kleben flatternde Krepppapierstreifen an die Scheunenwände. Als sie keine Lust mehr dazu haben,  fischen sie zwei Mini-Eier aus dem Hühnerstall und betten sie vorsichtig in ein selbstgebautes Nest. Dann springen sie mit den übrigen Kindern über den Hof. Jesse hilft derweil, die Tische und Bänke aus dem Bulli zu laden und aufzubauen. Während Nina und Schoofi liebevoll zarte Blumenarrangements auf die Tische zaubern, kümmern sich Micha und Volker um die Musikanlage und um die Leinwand. Steffi und ich rücken zum wiederholten Male die Stehtische um. Mein Herz ist in diesem Moment nicht so schwer: ich bin vollauf damit beschäftigt, Vianne für den morgigen Tag ein zauberhaftes Fest zu bereiten. Volle Konzentration darauf. Nichts anderes zählt gerade. Nach getaner Arbeit sitze wir alle zusammen auf dem Hof in der Sonne und futtern Pommes und Gyros und Pizza. Eigentlich wirkt dieser Tag wie ein ganz normaler, unbeschwerter Tag...eigentlich. Am Abend ziehe ich die letzten Fotos und Videos von Vianne auf die Festplatte, lade ihre Lieblingsmusik auf den Stick. Sie wird morgen dabei sein, sie wird über die Leinwand tanzen und springen, uns aus ihren großen Augen verschmitzt anlächeln oder auch ernst-nachdenklich auf uns herabschauen, begleitet von ihrer Lieblingsmusik. Sie wird dabei sein! Abends falle ich müde ins Bett.
Es ist Freitag, der 31. Juli: ich bin bereit. Ich habe keine Tränen, ich freue mich auf Viannes  Fest. Ich bin aufgeregt, weil ich es ihr so schön wie möglich machen möchte. Wie eng verbunden ich mich ihr in diesem Moment fühle. Ich kann sie spüren. Es ist wieder "Vianne-Wetter". Der Wind weht, blauer Himmel, vereinzelte strahlend-weiße Wolken. Ich habe nichts anderes erwartet... Ada und ich flechten uns die Haare und ziehen wunderschöne Kleider an. Die Jungs wie immer locker-lässig...authentisch. Wir fahren zeitig los. Ich fahre wieder zurück. Ich habe die Festplatte mit den Aufnahmen vergessen. Jesse begleitet mich. Zurück auf dem Hof sehe ich den kleinen weißen Sarg unter dem Scheuenvordach vor der Backsteinmauer stehen, eine bunte Kornblumengirlande schmückt den Deckel. Ich stocke, dann gehe ich zum Sarg, erst noch zögerlich. Plötzlich fangen die Hühner im dahinterliegenden Hühnerstall lauthals an zu gackern, der Hahn schreit uns sein kräftiges kikeriki entgegen. Ich muss schmunzeln, sehe Vianne vor meinen Augen, wie sie herzhaft darüber lacht - und mein Blick klärt sich wieder, so dass ich die wunderschöne Kornblumen-Girlande auf dem Sarg wahrnehmen kann. Liebevoll gehe ich neben Ada in die Hocke. Ja, das hätte Vianne gefallen... Auf der grünen Wiese steht ihr kleiner, rosaroter Reisekoffer, der Deckel weit geöffnet. Hier können alle, die mögen, Vianne ein kleines Erinnerungsgeschenk mit auf die Reise geben. 
Unsere Familie, unsere Freunde, Viannes Freunde, die Kindergartengruppe, die Erzieher, ihre zukünftigen Lehrer, einige Mitarbeiter aus dem Krankenhaus ... sie alle kommen. Der  Koffer füllt sich unaufhörlich. Auch der Hof füllt sich mit Leben. Fast alle sind gekommen - Groß und Klein, aus Nah und Fern. Ich bin so ergriffen. Ich begrüße jeden einzelnen. Es tut gut, so viele vertraute, liebenswerte Menschen um mich zu wissen. Sie geben mir Kraft. Sie geben mir Sicherheit! Gemeinsam lassen wir bunte Luftballons mit Wünschen für Vianne in den Himmel steigen. "Komm und flieg mit mir" (Titelmusik aus Mia and me) schallt es über die Felder bis hoch in den Himmel, bis die fliegenden Luftballons zu kleinen Punkten verblassen. Das muss Vianne einfach hören, das muss sie einfach sehen. Ich kann sie andächtig "oh" und "ah" sagen hören, kann sie verzückt kichern hören. Die vielen Kinder springen über die Wiese, klettern und tanzen. Vianne läuft mit ihnen, Vianne läuft in ihnen...
Dann beginnt der offizielle Teil. Und jeder trägt etwas zu Viannes Erinnerungsfest bei - so wie wir es uns gewünscht haben. Die Pastorin moderiert und stupst an. Peter macht schließlich den Anfang: Er hat seine Gitarre mitgebracht und  spielt darauf "Hänsel und Gretel". Alle singen schließlich mit. Es ist eines von Viannes Lieblingsliedern. Später kommt noch "Der Kuckuck und der Esel" hinzu. Ich bin ihm so dankbar, dass er den Anfang gemacht hat. Ich erzähle von Vianne, kleine Anekdoten. Alle müssen schmunzeln. Micha und die Kinder stehen dabei an meiner Seite. Ein Freund von Luke spielt für Vianne ein Stück auf seinem Saxophon. Paula, die Tochter von Freunden, verzaubert alle mit ihrem Gitarrenspiel und ihrem Gesang von "Let it go" (aus: Eiskönigin), ein absolutes Lieblingslied von Vianne. Viannes und Adas Kindergartengruppe hat sich in lauter kleine Elfen verwandelt, die ebenfalls Viannes Kindergarten-Elfen-Lieblingslied vortragen. Und im Hintergrund tönt immer wieder das laute Federvieh. Ja: Leben! Alle stärken sich mit Kaffee und rosa Zuckertörtchen und Herzhaftem.  
Jetzt kommt der schwere Teil: Vier enge Freunde haben sich als Sargträger bereiterklärt. Sie bringen den Sarg zum Wagen. Wir alle fahren zum Friedhof. Eine große Menschenmenge steht am Tor. Ich nehme niemanden so richtig wahr. Mit den Kindern in unserer Mitte gehen Micha und ich hinter dem Sarg zum Grab. Ich habe keine Tränen. Ich bitte Uli und Andi, ganz nah bei uns zu bleiben. Wiederum die Kinder, die sich dicht um das ausgehobene Grab stellen und neugierig und fragend und irgendwie fasziniert in die Tiefe gucken, helfen mir in diesem Moment. Sie wirken so herrlich neugierig, so unbeschwert. Das ist gut. Ich richte meine Aufmerksamkeit auf Ada, Luke und Jesse. Luke fühlt sich unwohl. Gemeinsam mit einem guten Freund verlässt er vorzeitig den Friedhof. Diese Option haben wir ihm gelassen. Auch mein Fluchtinstinkt setzt ein. Ich lasse ein paar Blütenblätter in die offene Erde schweben. Wir gehen. Ich will nicht reden - deshalb gehe ich zügig zum Auto. Jesse möchte allein zu Fuß nach Hause gehen, möchte noch einen Moment allein, ohne andere Menschen, an Viannes Grab verweilen. 

Ein paar enge Freunde, Andi und Ralf haben uns auf unsere Bitte hin nach Hause begleitet. Wir sitzen noch eine zeitlang auf der Terrasse. Keine Tränen. Nachdem alle gefahren sind,  klingelt plötzlich das Telefon. Eine liebe Freundin ist dran mit einer Nachricht, die mich erzittern lässt. Gänsehaut. Einer der Luftballons, die wir Stunden zuvor haben fliegen lassen, ist in ihrem Garten gelandet - rund 50 Kilometer entfernt. Meine Augen füllen sich mit Tränen. Ein Zufall? Nein. Ich bin mir ganz sicher: Vianne wollte uns damit sagen, dass ihr ihr Elfenfest ganz doll gefallen hat. Wenig später packe ich unsere Sachen zusammen. Wir haben uns entschieden, auf den Hof von Freunden an der Ostsee zu fahren. Ich muss hier raus! Sofort. Noch am selben Abend brechen Micha und ich gemeinsam mit den Kindern auf - Richtung Meer. Wir werden liebevoll erwartet...






 



 







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