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Mittwoch, 6. Juli 2016

Auszeit

Echtzeit! 6. Juli 2016

Der Juli ist schwer... immer wieder driften meine Gedanken zum Juli 2015 zurück, schleichen sich aus dem Hier und Jetzt in die Vergangenheit, heimlich, still und leise...und wollen nicht wieder auftauchen aus dem Boden- und dem Hopfensee, aus dem Achensee...aus den Gebirgsbächen und den Weilern, weigern sich hinabzusteigen von den hohen Bergen. Es scheint, als flüchten meine Gedanken, meine Gefühle in eine andere Zeit...in eine andere Welt, als noch ALLE da waren. Eine Zeit, die nur noch aus Erinnerungen besteht. 1 Juli 2015: Jesse fährt mit Lukes Longboard vom Hopfensee nach Füssen, allein, um für seine Schwestern ein aufblasbares Schwimmtier (Vianne: "einen Delfin, Jesse, einen Delfin!") zu besorgen, das sie sich so sehr wünschen. Es ist heiß, locker 30 Grad, aber er schwingt sich auf das Board, um ihnen diesen Wunsch zu erfüllen. Und ich glaube, er genießt diese Zeit mit sich. Er kommt mit einem Hai zurück, der schließlich vor den kritischen Augen der kleinen Damen Gnade findet. Vianne steigt behutsam mit ihren Füßchen in den Hopfensee - schwimmen mag sie nicht mehr darin. Auch auf dem Hai mag sie nicht im Wasser reiten, es ist ihr letztendlich zu wackelig (es ist unfassbar, dass sie überhaupt noch so viel mitmacht, denn nur 23 Tage später ist sie tot). Am liebsten sitzt sie mit ihrem Schnulli in ihrem Buggy, schaut sich um und grinst schelmisch. Am Hopfensee werden Michas uralte Badelatschen "entführt". Wir lachen, weil wir nicht glauben können, dass jemand diese angefressenen, ausgelatschten Dinger wirklich mitgenommen haben könnte. 2. Juli 2015: Wir sitzen auf unserer Decke am Hopfensee. Die Sonne strahlt weiterhin vom Himmel, aber wir konnten uns ein schattiges Plätzchen direkt am Ufer sichern. Ich fülle Adas und Viannes bunte Eimer mit Wasser und wir lassen kleine Plastikhunde und -Kätzchen darin schwimmen, lassen sie untertauchen und vom "Beckenrand" hüpfen. Wir sind herrlich albern und kichern um die Wette. Später schleichen sich Vianne und ich ohne die anderen ins Hallen- und Spaßbad auf dem Campingplatz- trotz des herrlichen Wetters. Es ist Viannes Wunsch. Hier geht sie ins Wasser, lässt sich auf dem Rücken liegend entspannt mit ihren Schwimmärmchen treiben, genießt die Schwerelosigkeit, schaut versonnen an die Hallendecke und seufzt zufrieden. So ganz bei sich lächelt sie versonnen. Später beschweren sich die anderen Kinder, dass wir sie nicht mitgenommen haben, aber Vianne und ich haben diese Exklusivzeit genossen - so innig, so nah, so leicht...davontreibend... 3.Juli 2015: Vianne geht es gut, aktuell keine Übelkeit, keine Schmerzattacken. Wir machen zusammen eine Fahrradtour, Jesse und Luke radeln vorweg, Adas Rad ist mit meinem verbunden, Micha zieht Vianne im Fahrradanhänger. Wir radeln Richtung Neuschwanstein, machen unterwegs Halt an einem wunderbar kühlen Gebirgsbach und stärken uns später auf einer urigen Almhütte. 4. Juli 2015: erneut fahren wir mit dem Fahrrad zur Tegelbergbahn. Gestern waren wir zu spät dran für die Gondelfahrt. Wir koppeln den Fahrradanhänger ab und nutzen ihn oben auf dem Berg als Buggy für Vianne. Schwitzend schieben wir sie Richtung Gipfel und picknicken in rund 1700 Meter Höhe. Wir schauen den Paraglidern hinterher und genießen die Weite. Vianne kichert und ruft mit einem Mal lautstark: "Es schneit, es schneit, der Winter ist da!" Ein Insider-Witz. Sie ist so trocken humorig. Wir halten uns die Bäuche vor Lachen. Juli 2015 - vor einem Jahr...
Mein Herz ist gefangen in dieser Zeit - der Rest von mir macht weiter in der Gegenwart, gewohnt kämpferisch - zwar mit einer zunehmenden Müdigkeit - aber immer noch trotzig und stark. Dieser kümmerliche verbliebene Rest von mir stürzt sich in die Arbeit, übernimmt Zusatzaufgaben, denkt sich Verbesserungsvorschläge aus, probiert Neues aus, durstet nach Input, funktioniert. Mal besser, mal schlechter. In schlechten Momenten kriegen Ada und Luke und Micha viel ab. Dieser Rest von mir ist sich nur zu genau bewusst, dass ein Teil von mir auf der Strecke geblieben ist - in der Vergangenheit. Und dann setzt dieser Instinkt ein. Alles in mir schreit ganz laut: "Ich brauche Auszeit!" Auszeit von mir selbst, Auszeit um mich noch mehr zu verlieren, damit ich mich wiederfinden kann, Auszeit um zu verarbeiten, zu entspannen, Ruhe einkehren zu lassen: ich nehme das was von mir übriggeblieben ist mit auf die Reise - sozusagen eine Reha-Maßnahme. Und sie wirken, diese "Urlaube". Seltsamerweise scheint sich dann auch der Teil meines Herzens, der in der Vergangenheit verweilt, zu entschließen, auf eine kurze Stippvisite vorbeizukommen. Und dann kann ich zeitweise wieder klar sehen, fühle mich zwar noch immer nicht ganz, aber auch nicht mehr so zerrissen - zumindest für Momente. Die erste "Reha" 2016 ging über den Jahreswechsel an die Ostsee, eine "Verlängerung" folgte bei Wind und Regen im Februar. Über Ostern schloss sich die "Sportreha" mit Skifahren und Boarden in Zauchensee an, die nächste "Auszeit" ging zum Wandern nach Füssen, anschließend eine an die Nordsee nach Cuxhaven, etwas später nach Nordholland ans Meer, dann auf die Insel Langeoog... die Auszeiten kommen zwar immer genau zum richtigen Zeitpunkt, halten aber leider nicht lange vor. Ich brauche mehr, mein kaputtes Ich giert nach mehr: höher, weiter, länger, extremer... : der Korfu-Trail wartet schon auf mich und lässt mich hoffen... zum Ende der Ferien habe ich erneut die Ostsee im Hinterkopf; Mallorca für den Herbst ist gerade gebucht, Paris noch in der Planung.... Ja, der Rest von mir braucht viel, um auch den abtrünnigen Teil kurzzeitig aus der Vergangenheit hervorzulocken....Es wird schwer, beim nächsten Mal. Wir starten den Korfu-Trail nur wenige Tage nach Viannes Todestag. Vielleicht sagt mein Herz der Vergangenheit kurzfristig "Lebewohl". Es soll mitreisen (oder nachreisen)...für kleine Augenblicke...ich vermisse mich...








2 Kommentare:

  1. Wunderwunderwunderbare Bilder von wunderwunderwunderbaren Kindern einer wunderwunderwunderbaren Familie. Und sie sind nicht weg!!! Sie sind ganz nah.

    Ich wünsche dir deine Symbiose mit dem Schmerz. Ganz ganz schnell...

    Alles liebe für Euch!

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    1. Liebe Brigitte, ich danke dir von Herzen für deine liebenswerten und kraftspendenden Worte. In Gedanken bin ich weiterhin bei euch...

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