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Samstag, 5. November 2016

Eine Reise - vor und zurück

Echtzeit! 4. November 2016

Zitat Ada, 28. Oktober 2016: "Schade, dass wir nicht die Kraft haben, jemanden von den Toten zurückzuholen."

Zitat Ada, 31. Oktober 2016, abends beim Zubettbringen: "Mama, erzähle etwas über Vianne und mich - etwas Lustiges, was wir gemacht haben."

Zum vierten Mal waren wir nun auf Mallorca - und jedes Mal in einer anderen Konstellation. Es ist so skurril und unfassbar und schrecklich... Unsere erste Berührung fand 2009 statt. Luke war gerade einmal 11 Wochen, Jesse vier Jahre alt und Ada und Vianne noch nicht einmal in unseren Gedanken. 2012 kehrten wir auf die Insel zurück- mit Jesse, Luke und der dreijährigen Ada im Gepäck. Nur zwei Monate zuvor hatten wir Viannes Krebsdiagnose bekommen. Der Urlaub war schon gebucht. Also flog ich die erste Woche mit den Kindern auf die Insel, während Micha Vianne zur Chemotherapie ins Krankenhaus begleitete. Nach einer Woche tauschten wir und ich verbrachte eine innige Zeit mit Vianne in der Klinik, während Micha zu ihren Geschwistern flog. 2014 durften wir, überschattet vom zweiten Rezidiv, Wohlfühlzeit mit allen vier Kindern bei Antoni in der Cala Anguila und im Inland in der Finca in Caimari verbringen. Während der Chemotherapiezeit hatten wir Vianne versprochen, dass wir ihren verlorenen Urlaub nachholen, dass wir mit ihr auf jeden Fall noch nach Mallorca fliegen werden. Das konnten wir zum Glück verwirklichen. Ich halte gerade kurz inne und betrachte liebevoll und wehmütig Viannes Gesicht auf ihrem Buch. Das Coverfoto ist während dieses Mallorca-Aufenthaltes entstanden. Ich sehe die Szenerie noch ganz klar vor mir. Vianne sitzt am Tisch im Ferienhaus, mit Blick Richtung Bucht. Es ist früher Morgen. Sie futtert zwei Kekse, die auf einer kleinen weißen Untertasse verheißungsvoll vor ihr stehen und sie trinkt dabei einen warmen Kakao aus einer großen Tasse. Sie ist etwas genervt, weil ich schon wieder ein Foto von ihr machen möchte. Sie schaut mich halb trotzig mit diesem allzu weisen, wissenden Blick an. Ada ist noch nicht wach. Einer ihrer Brüder - ich weiß nicht mehr genau ob Luke oder Jesse - lümmelt sich gemütlich lesend auf dem Sofa im Hintergrund.
Herbstferien 2016: Luke und Ada sind dabei - Jesse und Vianne sind in unseren Herzen. Ihr Verlust wird uns immer wieder schmerzlich vor Augen geführt, bei ganz alltäglichen, banalen Dingen: Wir belegen nicht mehr eine ganze Sitzreihe im Flieger - von A bis F. (Auf dem Hinflug saßen wir dieses Mal übrigens getrennt. Ada und ich im vorderen Bereich, Luke und Micha in der letzten Reihe. Wir waren beim Einchecken  wieder zu spät dran und hatten sowieso nur den einfachsten Tarif ohne Sitzplatzreservierung gebucht. Richtig lustig wurde es, als Ada und ich uns Getränke und kleine Snacks im Flieger gönnten, mit dem Verweis an den Steward, dass die beiden "Typen auf der letzten Bank" zahlen würden. Ich hatte 'mal wieder kein Bargeld dabei.) Wir müssen nicht mehr einen großen Mietwagen mit sechs Sitzen oder aber zwei kleine Autos mieten. Eines genügt plötzlich. Es fühlt sich komisch an. Beim Gespräch mit den netten Ferienhausnachbarn gebe ich einen Restauranttipp ab und will gerade eben ansetzen, dass wir zu Jesses 15. Geburtstag dort einen genüsslichen Abend verbracht haben, als mir mitten im Satz, kurz bevor ich seinen Namen erwähne, mit Erschrecken klar wird, dass sie Jesse gar nicht kennen. so dass ich den Satz ganz schnell umformuliere, damit es nicht zu weiteren Nachfragen kommen kann: "Wer ist Jesse?" Haben Sie noch einen Sohn?" Ich will nicht irgendwelchen Leuten unsere Geschichte erzählen und dann ihre Betroffenheit mitansehen müssen. Ich will für sie einfach die ganz stinknormale Durchschnittsfamilie mit zwei Kindern sein - so richtig gruselig heileweltwerbemäßig: ein großer Bruder, eine kleine Schwester und die ach so unbeschwert glücklichen Eltern... Es fehlte nur noch das Zahnpastalächeln...
Unser diesjähriger Mallorca-Aufenthalt war nicht nur eine Reise in die Vergangenheit, sondern auch eine Reise in die Zukunft, zwar steinig und mit etlichen Stolperfallen versehen, die uns immer wieder ins Straucheln brachten, uns aber letztendlich nicht am Vorwärtskommen hindern konnten - sie verlangsamen es lediglich. Es war ein beschwerlicher, schmerzhafter Weg. Aber zumindest in die richtige Richtung, in Richtung Verarbeitung: Aufwärts. Irgendwie. Wenn auch schleppend. 
Seltsamerweise wurden wir bereits kurz nach der Landung in Palma von einer Leichtigkeit ergriffen, die wir uns nicht im Entferntesten erträumt hatten. Aber diese quierlige, lebendige Stadt belebte sogar unsere verletzten Seelen. 

Es war bereits später Abend, als wir an unserem Hostal eintrafen, das wir für eine Nacht, direkt im Herzen von Palma, nur zwei Kilometer von der Kathedrale entfernt, gebucht hatten. Wir schmissen kurz unsere kleinen Koffer - wir reisten nur mit  Handgepäck - ins Zimmer und begaben uns ins pulsierende Palma de Mallorca. Direkt um die Ecke fanden wir eine kleine Bar. Eine Gruppe junger Mallorquiner saß draußen an den Tischen. Sie palaverten und lachten. Wir ergatterten noch ein Plätzchen im Inneren und fühlten uns herrlich willkommen und irgendwie dazugehörig. Bis beinahe zwei Uhr in der Nacht saßen wir dort, aßen und tranken und scherzten mit Ada und Luke und dem Kellner. 
Obwohl wir zwei Zimmer in dem Hostal gebucht hatten, schliefen wir später alle gemeinsam in einem. Drei Betten genügten uns, und die Kinder (und auch wir) genossen die gegenseitige Nähe. Luke und Ada kuschelten sich wieder zusammen in ein Bett, wie schon auf Korfu. Am nächsten Morgen holten wir uns etliche Kaffees und Croissants aus "unserer" Bar und verspeisten die Snacks am Pool, in den Ada und ich später hineinhüpften. Im Laufe des Vormittags trafen Andi und Ralf ein, und gemeinsam machten wir uns auf den Weg zu unserem Ferienhaus an der Cala Anguila.
Fortsetzung folgt!

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